Das Kind hat Priorität! – Na klar doch

Gestern war wieder so ein Moment, an dem ich nicht wusste, ob ich lachen oder weinen sollte. Es gab etwas Wichtiges zu besprechen mit dem Dings. Ich schrieb ihm also eine Nachricht, ob wir am nächsten Tag kurz telefonieren könnte. Alleine diese Anfrage hätte mich an seiner Stelle nervös gemacht, denn ich melde nur Telefontermine an, wenn es wirklich wichtig ist.

Es kam zurück: Geht nicht, er sei bei seiner Schwester und danach einige Tage außer Landes. Aha, dachte ich mir, wie nett, das auch mal zu erfahren. Brauche ich ihn jedenfalls nicht anrufen, sollte ein Notfall eintreten. Und da schmeckte es wieder bitter, denn erst ein paar Tage vorher hatte er großkotzig verlauten lassen „Das Kind hat oberste Priorität!“ – Ja, klar. Priorität am Arsch.

Priorität von Anfang an. Nicht.

Als mein Sohn etwa drei Monate alt war, studierten der Dings und und ich beide noch an der Uni. Als er mal wieder zu einem Besuch da war, sagte er mir, bevor er ging: „Ich habe meinen Stundenplan für das nächste Semester gemacht. Ich kann ab Oktober nur noch dienstags zwischen 14 und 16 und donnerstags zwischen 12 und 14 Uhr.“

Mir klappte die Kinnlade herunter. Was sollte das bedeuten? Anna, sei gefälligst zu diesen Zeiten bereit und ermögliche mir hier Besuchszeiten? Geht´s noch? Was war mit MEINEM Studium? Was war mit MEINEN Terminen? Glaubte er, das sei alles egal? Und glaubte er, ich würde springen, sobald er pfeift?

Ich hantierte zu der Zeit mit meinen Hormonen, meinem neuen Leben, neuen Aufgaben und meinem Kellnerjob. Ich hatte Mühe, über die Runden zu kommen. Finanziell und auch mit meinen anderen Ressourcen. Und trotzdem hatte ich ganz kurz (wirklich ganz, ganz kurz) einmal daran gedacht, auch vielleicht wieder einen Kurs an der Uni zu belegen. Aber wie denn ohne Betreuung? Nein, meinen Sohn hätte ich niemals mit in die Kurse nehmen können, er hätte mich fertig gemacht.

Für jeden Termin, der auch nur halbwegs meine Aufmerksamkeit forderte, brauchte ich eine Betreuung. Denn mein Kind schlief nicht. Nur wenn ich ununterbrochen marschierte – draußen (schön) oder drinnen (immer im Kreis, nicht so schön).

Während der Dings also seine Prioritäten auf sein Studium setzte, musste ich notgedrungen meine auf die Arbeit setzen. Nun hätte er sicher auch als Student einen Nebenjob an der Tankstelle oder im Supermarkt annehmen können, aber dafür war der Dings nicht bereit. Und sich mit mir absprechen, um auch mir zu ermöglichen, mit dem Studium voranzukommen? Nein, selbstverständlich nicht. Kein Unterhalt, keine Unterstützung und dann auch noch Forderungen nach der Einhaltung SEINER kleinen Zeitfenster. Ja, das Kind hatte oberste Priorität.

Heute: Das gleiche Spiel

Der Dings kommt einmal die Woche zum Spielen. Zudem hatte ich ihm angeboten, dass er am Wochenende kommen kann, wenn ich nicht arbeiten muss. Ich dachte mir also, er würde sicher jedes Wochenende kommen wollen, an dem es möglich sei. Immerhin hat ja das Kind oberste Priorität. Ich irrte mich.

Er fragte mich nur nach den Wochenenden, an denen er keine anderen Termine hatte. Jetzt fragst du dich sicher, welche anderen Termine er hat. Tja, es handelt sich um Geburtstage von Freunden, Ausflüge oder sonstige Freizeit-Aktivitäten. Konzerte, Theatervorstellungen, Einladungen von Bekannten, Spieleabende und was weiß ich was noch.

Seine Argumentation: Na, wenn das schon mal stattfindet und wenn der oder die halt Geburtstag hat, dann will er daran ja auch teilnehmen. Die Lieblingsband kommt ja auch nicht jeden Monat vorbei und die Freunde, die weiter weg wohnen, da ist es immer so schwierig, Termine zu finden. Ja, das stimmt natürlich.

Messen mit zweierlei Maß

Weißt du, auf wie vielen Geburtstagen ich in den letzten vier Jahren war? Vielleicht fünf oder sechs. Alle nachmittags oder zumindest am frühen Abend. Mit Kind. Du kannst dir vorstellen, wie sehr da die Party abging. Auf wie vielen Konzerten war ich? Auf keinem. Wie viele lustige Abende mit Freunden und Bekannten hatte ich? Wenige – und wenn, dann fanden sie bei mir statt. Mit dem Ergebnis, dass ich immer irgendwann unterbrochen wurde und meinen Sohn dann natürlich nicht innerhalb weniger Minuten zum Weiterschlafen bewegen konnte.

Tja, mein Sohn hat Priorität. Für mich jedenfalls. Dass ich Events und Aktivitäten verpasse, ist dem Dings natürlich egal. Aber selbst darauf verzichten, um zusätzliche Zeit mit seinem Sohn zu verbringen? Nein, undenkbar.

Die Perspektive? Nicht sehr rosig.

Ich gehe nicht davon aus, dass sich an der Situation etwas ändern wird. Der Dings investiert weiterhin minimal Zeit und Energie in sein Kind. Und ich? Ich fange es auf. Und ich ärgere mich. Nicht mal so sehr darüber, dass es so ist, sondern darüber, dass er sein mieses Verhalten nicht einmal sieht. Dass er sich für den tollsten Papa der Welt hält, weil er einmal in der Woche zum Spielen kommt. Und stimmt ja, er fragt mich ab und zu, ob er auch am Wochenende vorbeikommen kann. Aber eben nur an den freien. Dass das meistens die sind, an denen ich arbeiten muss, ist ihm egal.

Auch sonst verschwendet der Dings nicht sehr viel Energie in die Kindererziehung – wozu auch? Warum sollte er sich informieren über Kindesentwicklung und Trotzphasen, wenn er doch nie etwas davon mitbekommt? Wozu sollte er sich damit beschäftigen, wenn er ja nur zum Spielen kommt? Womit sich ein Kind in dem Alter so herumschlägt, muss er ja nicht wissen, wenn er ihn immer nur für kurze Zeit (und mit guter Laune) erlebt. Stimmt schon. Erziehungsratgeber sind was für Leute, die erziehen. Nicht für den Dings. Aber immerhin hat das Kind oberste Priorität.

Deine, heute kopfschüttelnde
Anna

Bild: Public Domain. mintchipdesigns, Pixabay

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