Macht uns Corona alle zu Egoisten? Über eine merkwürdige Stimmung

Das Web ist gerade voll von kleinen und großen Kämpfen, von Unachtsamkeiten und von seltsamen Diskussionen, wer was schafft und wer nicht genug tut. Es herrscht eine merkwürdige Stimmung und ich habe mich gestern wirklich gewundert, was hier eigentlich los ist.

Ich habe verstanden: Dass viele unter Druck stehen. Dass viele Angst haben und verunsichert sind, erschöpft, müde, überfordert. Dass sich viele nicht gesehen und nicht wertgeschätzt fühlen (das ist ein großes Problem).

Ich habe verstanden, dass die Situation unübersichtlich und krass und ätzend ist. Dass zu viele Menschen sich nicht so rücksichtsvoll verhalten wie sie es vielleicht sollten. Dass da viel Frust ist und viel Ärger in dieser ganzen Situation.

Und ich weiß, dass Kommunikation im Web uns dazu verleitet, schnell über andere zu urteilen und unserem Ärger irgendwie Luft zu machen, ohne groß darüber nachzudenken.

Aber diese Art der Fokussierung auf die eigenen Bedürfnisse und Befindlichkeiten führt zu einem merkwürdigen „ich“ und „die anderen“. Das kennen wir, das ist so menschlich. Wir können nicht zugeben, dass wir für unseren Kram selbst verantwortlich sind, also muss jemand an der Situation Schuld sein.

Und wer könnte das nun sein? Die Politiker? Die Lehrer? Die Alten? Die Jungen? Die Mütter, die gut mit der Situation klarkommen? Die, die es nicht tun?

Wer schafft hier was?

Es ist eine merkwürdige Stimmung. Auf der einen Seite brüsten sich die Menschen (in meiner Bubble vermehrt Mütter) damit, was sie alles Tolles schaffen in dieser Zeit. Sie legen Hochbeete an, räumen das Haus auf, entdecken neue Spiel- und Bastelangebote, machen Sport mit den lieben Kleinen und ganz nebenbei wuppen sie auch noch ihr Business. Die schaffen das – und klar, tschakka, das muss der Welt mitgeteilt werden.

Auf der anderen Seite sehe ich Menschen, die es nicht schaffen. Auch das wird kommuniziert, aber nicht so detailliert. Es ist nicht klar, worin die Überforderung besteht, denn niemand macht Listen davon, was er alles nicht geschafft hat.

Stattdessen: Es werden Leute runtergemacht, weil sie etwas gerade nicht so toll schaffen wie vor Corona. Und das mit der Begründung, andere würden das schließlich auch schaffen. Oder – noch besser – „Ich kenne selbst Alleinerziehende, die das irgendwie auf die Reihe kriegen mit Job und Erziehung und Homeschooling und allem.“

Ja, selbst die.

Das Blöde ist nur: Bloß, weil es ein paar gibt, die es schaffen, die es vielleicht sogar genießen, heißt das nicht, dass es alle schaffen müssen. Jeder hat hier seine ganz individuelle Herausforderung. Und jeder gibt sein Bestes. Wie kommen wir denn dazu, jemandem, der es gerade vielleicht nicht schafft, zu unterstellen, er mache das absichtlich?

Können wir in die Köpfe der anderen schauen? Nein.
Können wir in die Wohnzimmer der anderen schauen? Nein.
Können wir annehmen, dass es alle schaffen, weil ein paar das ganz gut hinkriegen? NEIN!

Leute, schaut hin. Hört auf damit, Menschen abzuwerten oder fertigzumachen, weil die gerade nicht klarkommen. Wir geben alle unser Bestes. Immer.

Hier ist meine Liste, was ich gestern geschafft habe:

  • Frühstück
  • Memory gespielt
  • Radtour mit Junior
  • Mini-Mittagsessen
  • Erstgespräch mit einer potenziellen Kundin
  • Einkaufen
  • Übersicht auf meinem Blog und meinen Social-Media-Kanälen verschafft
  • Haushaltsbuch nachgetragen
  • Teile der Woche geplant.

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Was ich NICHT geschafft habe:

  • Brot backen
  • Abendessen kochen
  • Wäsche waschen
  • Treppenhaus fegen
  • mit Junior malen
  • einen frischen Obstteller schnipseln und hinstellen
  • zwei Aufträge abarbeiten
  • Rechnungen schreiben
  • Rechnungen mahnen
  • Buchhaltung allgemein
  • fancy Bastelprojekte umsetzen mit Junior
  • Küche aufräumen
  • Meine Facebook-Gruppe moderieren
  • neuen Content und neue Angebote erstellen
  • der Krankenkasse die angeforderten Unterlagen schicken (schaffe ich seit Wochen nicht)
  • der KSK die angeforderten Unterlagen schicken
  • den Bogen zum Elternbeitrag (Einkommen) ausfüllen
  • meditieren
  • Yoga
  • progressive Muskelentspannung
  • ein Vollbad nehmen

So. Diese unerledigt-Liste wird mit jedem Tag länger. Die Kundenprojekte, die nicht fertig werden, machen zusätzlich Druck. Mir fehlen 40 Stunden jede Woche. Nicht nur für mein Business, auch für mich. Und jetzt könnt ihr mir gern sagen: „WAS? Wie kann das sein, dass du an einem ganzen Tag nur so wenig schaffst?!“

Leute, es ist anstrengend. Seit Wochen jede oder jede zweite Nacht arbeiten ist anstrengend. Rund um die Uhr Junior ist anstrengend. Keine Pausen, auch keine kleinen. Das ist anstrengend. Wenig, zu wenig Schlaf. Anstrengend. Den ganzen Tag ununterbrochen 100% Aufmerksamkeit. DAS IST ANSTRENGEND. Und manchmal will ich da abends nur noch sitzen und aus dem Fenster schauen.

Ja, es geht. Irgendwie. Andere schaffen das ja auch, haha. Aber bitte: Seht auch die, die es nicht schaffen. Und hört auf, euch zu erheben über andere wegen irgendeiner unwichtigen Kackscheiße.

Jeder gibt sein Bestes. Du bist nicht der Mittelpunkt des Universums. Vergleiche bringen nichts. Wir müssen jede Situation individuell betrachten.

Bitte. Denkt nach bevor ihr urteilt. Und denkt an Karma. Es kommt alles zurück irgendwann. Dann doch lieber das Verständnis und das Miteinander 💙💙💙🙏

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